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Iii. Das Deutsche Reich.
fünf Jahren betragen. — Die Haft besteht in einfacher Entziehung der
Freiheit und wird auf höchstens sechs Wochen verhängt. — Die Festungs-
haft (eustoäia konesta) ist mit den geringsten Beschränkungen der persön-
lichen Freiheit verbunden.
3. Geldstrafen, die im Falle des Unvermögens in Freiheitsstrafen
umgewandelt werden.
4. Verweise können in leichten Füllen gegen jugendliche Personen
ausgesprochen werden.
5. Auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte oder wenigstens
Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter kann neben der Todesstrafe
und erheblichen Freiheitsstrafen erkannt werden.
6. Stellung unter Polizeiaufsicht und Ausweisung von Aus-
ländern sind als Nebenstrafen zulässig.
Auch eine einheitliche Gerichtsverfassung hat uns das Deutsche
Reich gebracht. Im Mittelalter war der König der oberste Gerichtsherr,
in dessen Auftrag die Grafen Recht sprachen. Der König umgab sich
mit einem Hofgericht, doch die Landesfürsten suchten eine selbständige Ge-
richtsbarkeit auszubilden. Durch die sogenannte Goldene Bulle Kaiser
Karls Iv. erhielten 1356 die Kurfürsten die höchste Gerichtsbarkeit;
Maximilian I. setzte 1495 auf den Wunsch der Reichsstände das Reichs-
kammergericht ein, das zuletzt in Wetzlar seinen Sitz hatte, aber durch die Ver-
schleppung der Prozesse sich berüchtigt machte. In Brandenburg begründete
Kurfürst Joachim I. 1516 das kurfürstliche Kammergericht. Man klagte
nur zu oft über Kabinettsjustiz, d. h. über Eingriffe des Fürsten in die
richterliche Tätigkeit, von denen sich selbst Friedrich der Große, freilich
in bester Absicht, nicht freihielt (Müller Arnoldscher Prozeß). Das Gerichts-
verfassungsgesetz bestimmte deshalb, daß die richterliche Gewalt im Namen
des Landesherrn durch miabhängige, keiner anderen Autorität als der des
Gesetzes unterworfene Gerichte ausgeübt werden solle. Die Richter werden
vom Landesherrn auf Lebenszeit ernannt. Die Befähigung zum Richteramt
muß durch zwei Staatsprüfungen erwiesen werden. Auch die Staats-
anwälte, denen die öffentliche Anklage und die Strafvollstreckung zufällt,
und die Rechtsanwälte, die den Angeklagten zur Seite stehen, müssen
zum Richteramte befähigt sein.
Neben den Berufsrichtern sind auch Laien zur Rechtsprechung als
Schöffen, Geschworene, Schiedsmäuner, Handels- und Gewerberichter
herangezogen worden.
Die Gerichte zerfallen in Amtsgerichte, Landgerichte und Ober-
landesgerichte; das Oberlandesgericht in Berlin ist das Kammer-
gericht, das als der höchste preußische Gerichtshof gilt. Das oberste
deutsche Gericht ist das Reichsgericht in Leipzig. Den Amtsgerichten
stehen Einzelrichter vor; bei größeren Amtsgerichten werden die Geschäfte
unter die verschiedenen Richter verteilt. An der Spitze der Landgerichte
steht je ein Präsident; sie zerfallen in Zivil- und Strafkammern, die von
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Extrahierte Personennamen: Karls Maximilian_I. Friedrich_der_Große Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Karls Wetzlar Brandenburg Berlin Leipzig
15. Die soziale Gesetzgebung.
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dem Unternehmer zur Last fallende Erhöhung des Krankengeldes von y2
ans 2/3 des durchschnittlichen Tagelohnes ein. Außer den Kosten der
Heilung wird dem Verletzten eine Rente gewährt, die bei völliger Hilf-
losigkeit dem vollen Jahresverdienst gleichkommt und sich im übrigen nach
dem Grade der Erwerbsunfähigkeit abstuft; bei völliger Erwerbsunfähig-
keit beträgt sie 2/3 des Jahresverdienstes; an ihre Stelle kann freie Ver-
pflegung in einer Heilanstalt treten. Im Falle der Tötung wird den
Hinterbliebenen als Sterbegeld V15 des Jahresverdienstes, jedoch mindestens
50 Mark und eine Rente gewährt, die für die Witwe ein Fünftel und
für jedes Kind unter 15 Jahren ein weiteres Fünftel, jedoch im ganzen
nicht mehr als drei Fünftel des Jahresverdienstes beträgt. Auch Ver-
wandte in aufsteigender oder absteigender Linie, die der Verstorbene unter-
hielt, erhalten ein Fünftel des Jahresverdienstes. Die Kosten der Unfall-
versicherung werden durch jährliche Umlagen auf die Mitglieder der Bernfs-
genossenschaft im Verhältnis der in ihren Betrieben verdienten Gehälter
und Löhne und der festgesetzten Gefahrentarife aufgebracht. Für solche
Genossenschaften, die leistungsunfähig werden, tritt das Reich ein. Zn
der gewerblichen Unfallversicherung ist eine landwirtschaftliche und See-
unfallversicherung getreten. Die Unfallversicherung, in der (die Doppel-
versicherungen abgerechnet) beinahe 23 Millionen Menschen versichert waren,
versorgte im Jahre 1910 mehr als 1 Million Verletzte, dazu 82000 Witwen
und über 100000 Kinder mit einem Aufwand von mehr als 164 Millionen
Mark. Von 1885 bis 1909 haben die Arbeitgeber mehr als 2 Milliarden
an Beitrügen aufgebracht. Das vorhandene Vermögen betrug im Jahre 1909
beinahe 511 Millionen Mark.
Die Invalidenversicherung ist notwendig, da die Kranken- und
Unfallversicherung nur einen Teil der dem Arbeiter drohenden Notstände
beseitigen. Für Erwerbsunfähigkeit, die durch Krüfteabnahme infolge von
Siechtum, Gebrechen oder hohem Alter verursacht wird, bieten sie keine
Hilfe. Diesen Notständen wird durch die Invalidenversicherung abgeholfen.
Sie umfaßt alle männlichen und weiblichen Lohnarbeiter, Gesellen, Lehr-
linge, Dienstboten und Schiffer vom 16. Lebensjahre ab sowie alle gegen
Entgelt beschäftigten Privatbeamten, Lehrer, Techniker und kaufmännischen
Angestellten, sofern ihr Gehalt 2000 Mark nicht übersteigt. Bei höherem
Verdienst bis zu 3000 Mark ist diesen Angestellten und Gewerbetreibenden
freiwillige Teilnahme erlaubt, sofern sie nicht über 40 Jahre alt sind; auch
können Versicherte beim Aufhören der Pflicht die Versicherung fortsetzen
oder erneuern. Versicherungsfrei sind Staats- und Gemeindebeamte, denen
ein Anspruch auf Ruhegehalt sowie Witwen- und Waisenversorgung zu-
steht, ferner Personen des Soldatenstandes, Beamte und Lehrer, die zu
ihrer Berufsausbildung gegen Entgelt beschäftigt werden.
Die Höhe der Beitrüge richtet sich nach dem Durchschnittseinkommen.
Danach sind 5 Lohnklassen aufgestellt von 350 Mark Höchsteinkommen in
der untersten bis zu 1150 Mark Mindesteinkommen in der obersten Klasse.
Die Beiträge, welche wöchentlich durch Aufkleben einer Marke auf eine
tfísf
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48
Iii. Das Deutsche Reich.
Fortbildungs-, Handarbeits- und Haushaltungsschulen muß ihnen ermöglicht
werden. Zur Überwachung der Bestimmungen dieses Gesetzes sind Fabrik-
und Gewerbe-Inspektoren bestellt.
Das Verbot der Vereinigung von gewerblichen Arbeitern sowie
der gemeinsamen Arbeitseinstellung zur Erlangung günstigerer Lohn-
bcdingnngen ist aufgehoben; doch ist die Ausübung von Zwang bei
der gemeinsamen Arbeitseinstellung verboten.
In den Rahmen der sozialen Gesetzgebung gehört auch die Fürsorge-
Erziehung Minderjähriger, die gebessert oder schlechten Einflüssen entzogen
werden sollen. Am Ende des Jahres 1909 befanden sich in Preußen
44000 Personen im Alter bis zu 21 Jahren in Fürsorge-Erziehung; die
Aufwendungen dafür überstiegen den Betrag von 9 Millionen.
Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.
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I. Staat und Verfassungen im allgemeinen.
1. Entstehung und Zweck des Staates.
Der Staat ist die selbständige, dauernde Gemeinschaft einer größeren
Anzahl von Menschen, die unter einer höchsten Gewalt und nach fester
Ordnung gebildet ist.
Die Wurzel des Staates ist das Geschlecht, die Verbindung einer
Anzahl von Familien von gemeinsamer Abstammung. Durch Zusammen-
schluß von Geschlechtern, mag er freiwillig zu gegenseitiger Hilfeleistung
oder durch den Zwang eines oder mehrerer körperlich und geistig hervor-
ragender Menschen herbeigeführt sein, sind die ältesten Staaten entstanden.
Gemeinsame Sprache und Sitte sind die Kennzeichen des nationalen
Staates.
Der Zweck des Staates ist die Sicherung gegen äußere Feinde und
das Wohl der Gesamtheit wie des Einzelnen, das durch den Schutz des
Rechtes sowie durch die Pflege der wirtschaftlichen und geistigen Interessen
gefördert wird. Die staatliche Tätigkeit äußert sich auf dem Wege der
Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung.
Bei Nomadenvölkern kann von einer festen Staatsordnung nicht die
Rede sein; erst die durch geregelten Ackerbau ermöglichte Seßhaftigkeit,
das Bedürfnis eines Schutzes für das Eigentum und die Früchte der
Arbeit führte zur Bildung von Staaten (vgl. Schillers Eleusisches Fest).
Die ältesten Kulturstaaten sind da entstanden, wo die Natur den Ackerbau
begünstigte (Ägypten, Mesopotamien, China).
2. Die Berfafsungsformen.
Die Geschichte zeigt uns die verschiedensten Formen der Staatsver-
fassung. Die älteste geschichtlich bezeugte Form ist das patriarchalische
Königtum, welches wir bei dein Volke Israel, in der homerischen Zeit
bei den Griechen und bei einem Teile der alten Germanen finden. Der
König ist das Haupt eines bevorzugten Geschlechtes; er herrscht kraft der
Überlieferung und seines Ansehens, das sich aus großen Grundbesitz, Tapfer-
keit im Kriege und Klugheit im Rate gründet. Dieses Königtum trägt
zugleich einen theokratischen Charakter: das Königsgeschlecht führt sich auf
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6
I. Staat und Verfassungen im allgemeinen.
göttlichen Ursprung zurück (die Zeus entsprossenen Könige Homers) oder
regiert im göttlichen Aufträge (Israel). Der König sucht bei wichtigen
Entscheidungen die Zustimmung des aus den Fürsten oder Ältesten be-
stehenden Rates. Das Volk wird in dringenden Füllen zur Versammlung
berufen und gibt sein Einverständnis durch Zuruf oder Zusammenschlagen
der Waffen (bei den Germanen), seinen Unwillen durch Murren kund.
Durch Beschränkung (Sparta) oder Beseitigung des Königtums (Athen,
Rom) entstand die Form der Adelsrepublik oder Aristokratie.
Diese Verfassungsform herrschte in neuerer Zeit in Polen, Venedig und
zeitweise in Genua.
Die Unzufriedenheit mit dem selbstsüchtigen Regiment des Adels oder
den öffentlichen Zustünden überhaupt führte oft eine Mißstimmung bei
dem Volke herbei, die von ehrgeizigen Männern zur Begründung einer
auf die bewaffnete Macht gestützten Gewaltherrschaft (Tyrannis) benutzt
wurde (im Altertum in Griechenland Peisistratos und andere Tyrannen,
in Rom Cäsar und Augustus, im Mittelalter die Visconti und Sforza
in Mailand, die Medici in Florenz, in der Neuzeit in Frankreich Napoleon I.
und Napoleon Iii.). Die Tyrannen oder Usurpatoren suchten ihre Herr-
schaft durch wirtschaftliche Hebung des Volkes oder durch kriegerische Er-
folge zu sichern.
Eine gesetzliche Beschränkung der Rechte des Geburtsadels und eine
angemessene Beteiligung des Volkes an der Regierung erstrebte Solon in
Athen durch die Abstufung der Rechte und Pflichten nach dem Vermögen
(Timokratie). Ihr zu vergleichen ist die sogenannte Germanische Ver-
fassung in Rom und das preußische Wahlrecht.
Gegenüber dieser Bevorzugung des Besitzes erstrebt die demokratische
Republik die völlige Rechtsgleichheit aller Staatsangehörigen ohne Unter-
schied der Geburt und des Vermögens. Diese Verfassung hatte Athen
zur Zeit des Perikles und Frankreich von 1792—1795.
Die Demokratie kann durch das Übergewicht der politisch unreifen
Masse zur Ochlokratie oder Pöbelherrschaft entarten, wie in Athen
nach dem Tode des Perikles und in Frankreich während der Französischen
Revolution. In den Stadtstaaten des Altertums (Athen, Rom in der
älteren Zeit) konnte das Volk seinen Einfluß auf die politischen Angelegen-
heiten unmittelbar durch Abstimmung ausüben: in den ganze Länder um-
fassender: modernen Staaten ist eine solche Volksabstimmung (Plebiszit)
nur in besonderen Fällen vorgenommen worden, besonders bei Verfassungs-
änderungen (in Frankreich durch Napoleon I. und Iii-, auch in der Schweiz);
in der Regel übt das Volk seinen politischen Einfluß durch Wahlen aus,
bei denen entweder das allgemeine und gleiche oder eirr beschränktes Wahl-
recht gilt. Die Abstimmung kann entweder öffentlich oder geheim sein.
Durch geheime Wahl soll die wahre Meinung des Volkes zum Ausdruck
kommen und politische Beeinflussung verhindert werden.
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Extrahierte Personennamen: Cäsar Augustus Napoleon_I. Napoleon Napoleon_I.
Extrahierte Ortsnamen: Israel Sparta Athen Rom Polen Venedig Genua Griechenland Rom_Cäsar Sforza Mailand Florenz Frankreich Athen Rom Frankreich Athen Frankreich Französischen
Revolution Athen Rom Frankreich
2. Die Verfassungsformen.
7
Bei den alten Deutschen wurde die Gemeinfreiheit, aus der sich der
Adel hervorhob, in den Zeiten der Völkerwanderung fast allgemein durch
das Heerkönigtum verdrängt; sie erhielt sich nur bei den Sachsen und
Friesen. Die fränkischen Könige, denen die Einigung der germanischen
Stämme gelang, erstrebten seit Karl dem Großen eine universale Herr-
schaft, die in der Verleihung der römischen Kaiserwürde durch den Papst
ihren Ausdruck fand. Dadurch erhielt das deutsche Königtum einerseits
einen theokratischen Charakter („üon Gottes Gnaden", ursprünglich im
Gegensatz zu dem eigenen Verdienst), andererseits bildete sich der Lehnstaat
aus. Es entstand das Landesfürstentum, neben dem die Reichsstädte empor-
kamen. So wurde das Reich eine ständisch gegliederte Monarchie; auch in
den Einzelstaaten erwarben die Stände, Adel, Geistlichkeit und Städte,
wichtige Rechte. Aber im 17. und 18. Jahrhundert entledigten sich Könige
und Fürsten der ständischen Fesseln und richteten eine unbeschränkte (abso-
lute) Gewalt auf, die vielfach die Kräfte des Volkes zu dynastischen Zwecken
mißbrauchte. (Ludwig Xiv.: l'état e'est moi.) Daß der Herrscher nur
das Wohl seines Volkes im Auge haben dürfe, haben vor allem die
brandenburgisch-prenßischen Herrscher betont. Kurfürst Friedrich I. nannte
sich Gottes schlichten Amtmann am Fürstentum, der Große Kurfürst sagte:
„Ich will mein Fürstenamt in der Überzeugung führen, daß es nicht meine
persönliche Sache, sondern die des Staates ist"; Friedrich der Große
bezeichnete den Fürsten als den ersten Diener des Staates. Der Wahl-
spruch des aufgeklärten Absolutismus war: „Alles für das Volk, nichts
durch das Volk." Hierbei hing alles von dem Charakter des Herrschers
ab, wie denn Friedrich der Große selbst sagte: „Die Monarchie ist die
beste oder die schlechteste aller Regiernngsformen, je nachdem sie geführt
wird." Schon sein Nachfolger blieb hinter dem Vorbild seines Vorgängers
weit zurück. Gegen den Absolutismus regte sich auch in Deutschland das
Verlangen nach Teilnahme des Volkes an der Regierung und nach einer
festen Grundlage des Staatslebens, nach einer Konstitution oder Verfassung,
die sich das englische und das französische Volk erkämpft hatten.
Das Vaterland der konstitutionellen Monarchie ist England,
dessen Verfassung fast in allen europäischen Staaten Nachahmung gefunden
hat. Auch diese Verfassung zeigt wieder verschiedene Abstufungen, je nach
den Rechten, die der Krone verblieben sind. In England besteht die
parlamentarische Regierung, d. h. der König wählt seine Minister
aus der Mehrheit des Parlaments. Die parlamentarische Regierung wird
durch das^ Wort des stanzösischen Staatsmannes Thiers charakterisiert:
»Le roi règne, mais il ne gouverne pas.«
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Extrahierte Personennamen: Karl_dem_Großen Karl Ludwig_Xiv. Ludwig_Xiv. Friedrich_I. Friedrich Friedrich_der_Große Friedrich Thiers
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Gottes Deutschland England England
Ii. Der Preußische Staat.
1. Die Verfassung.
Die Grundlagen der öffentlichen Ordnung im Preußischen Staate
sind einerseits die Stein-Hardenbergschen Reformen, andererseits die preu-
ßische Verfassung. Der König Friedrich Wilhelm Iv. berief im Revo-
lntionsjahr 1848 die preußische Nationalversammlung zur Ausarbeitung
einer Verfassung. Als die Versammlung jedoch die königlichen Rechte
allzusehr einschränkte, löste der König sie auf und verlieh am 5. Dezember,
dem Jahrestage der Schlacht von Leuthen, um sich, wie der große König,
„ruhige Winterquartiere" zu verschaffen, aus eigener Kraft eine Verfassung.
Diese oktroyierte, d. h. ohne Mitwirkung der Volksvertretung gegebene Ver-
fassung ist dann von beiden Häusern des preußischen Landtages angenommen
und am 31. Januar 1850 veröffentlicht worden. Dieses preußische Staats-
grundgesetz sucht die historischen Rechte des Königtums mit deu Forde-
rungen des heutigen politischen Lebens zu vereinigen.
2. Der König.
Das Oberhaupt des Staates ist der König. Die Person des Königs
ist unverletzlich, d. h. Angriffe gegen die Person des Königs werden nach
dem Strafgesetzbuch besonders streng bestraft; der König kann für Regie-
rangs- und Privathandlungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Die
Verantwortung für seine Regierungshandlungen übernimmt der gegen-
zeichnende Minister.
Dem König allein steht die vollziehende Gewalt zu. Er ernennt
und entläßt die Minister, bestehlt die Verkündigung der Gesetze, die da-
durch ihre Geltung erhalten, und erläßt die zu deren Ausführung nötigen
Verordnungen.
Der König führt den Oberbefehl über das Heer und besetzt alle
Stellen im Heere sowie in allen übrigen Zweigen des Staatsdienstes.
Er hat das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, auch andere
Verträge mit fremden Regierungen zu errichten. Diese bedürfen zu ihrer
Gültigkeit der Zustimmung des Landtages, wenn es Handelsverträge sind,
oder wenn durch sie dem Staate Lasten oder einzelnen Staatsbürgern
Verpflichtungen auferlegt werden. Das Recht der Kriegserklärung und
des Friedensschlusses ist jetzt auf das Reich übergegangen; auch Verträge
werden jetzt fast nur von Reichs wegen abgeschlossen.
Der König hat das Recht der Begnadigung und Strafmilderung,
doch zugunsten eines wegen seiner Amtshandlungen angeklagten Ministers
ist dies Recht von dem Antrag der Kammer abhängig, von der die An-
klage ausgegangen ist. Der König kann eingeleitete Untersuchungen nicht
niederschlagen, also nicht in die richterliche Gewalt eingreifen.
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TM Hauptwörter (100): [T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm
2. Der König.
9
Dem König steht die Verleihung von Orden und andern mit Vor-
rechten nicht verbundenen Auszeichnungen (Titel, Adel) zu. Die große
Zahl von Orden und Ehrenzeichen ist begründet in dem Bestreben, die
Art des Verdienstes möglichst durch das Ehrenzeichen zum Ausdruck zu
bringen, sodann in den Rangunterschieden.
1. Der höchste preußische Orden ist der vor der Krönungsfeier am
17. Januar 1701 gestiftete Schwarze Adlerorden mit der Inschrift
»8uum onigue«. Er wird nur an Fürsten und andere hochgestellte
Männer verliehen. Mit seiner Verleihung an Bürgerliche ist der erbliche
Adel verbunden; die Ritter des Ordens rangieren hinter den Generalfeld-
marschällen.
2. Der Orden pour le mérité ist von Friedrich dem Großen für
besondere militärische Verdienste gestiftet (König Wilhelm I. hing auf dem
Schlachtfelde von Königgrätz seinen eigenen Orden pour le mérite seinem
Sohne, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, um, der durch sein rechtzeitiges
Erscheinen den Sieg herbeigeführt hatte). 1842 wurde von Friedrich
Wilhelm Iv. eine Friedensklasse für Kunst und Wissenschaft gestiftet.
3. Der Rote Adlerorden ist von den Fürsten von Ansbach und
Bayreuth gestiftet und wurde 1792 nach dem Anfall dieser Fürstentümer
von Preußen übernommen. Der Rote Adler ist das brandenburgische
Wappen. Der Orden zerfällt in 4 Klassen mit besonderen Abzeichen
(Schwerter, Eichenlaub, Schleife und Krone).
4. Das Eiserne Kreuz wurde von Friedrich Wilhelmiii. amlo. März
1813, dem Geburtstage der Königin Luise, für hervorragende Tapferkeit
in dem bevorstehenden Kampfe mit Frankreich gestiftet und am 19. Juli
1870, dem Tage der französischen Kriegserklärung und zugleich dem Todes-
tage der Königin Luise, von König Wilhelm I. in 2 Klassen erneuert.
Die Inhaber des Eisernen Kreuzes haben Anspruch auf den militärischen
Gruß und beziehen, falls sie unvermögend sind, einen Ehrensold.
5. Der Hohenzollernsche Hausorden für Verdienste um das Kgl.
Haus wurde 1851 nach dem Anfall der Hohenzollernschen Lande gestiftet.
6. Der Kronenorden wurde 1861 von König Wilhelm I. gestiftet.
Er wird in 4 Klassen verliehen.
7. Der Wilhelm-Orden für hervorragende Verdienste um die Wohl-
fahrt und Veredelung des Volkes, besonders auf sozialem Gebiete (1896).
8. Der Verdienstorden der preußischen Krone (1901).
9. Der Luisenorden für Frauen, 1814 gestiftet.
10. Das Verdienstkreuz für Frauen und Jungfrauen, 1871 gestiftet.
11. Die Rettungsmedaille wird für die Rettung eines Menschen
aus Lebensgefahr verliehen, wenn diese Tat unter eigener Lebensgefahr
des Retters ausgeführt wurde.
12. Das Allgemeine Ehrenzeichen, das auch in Gold verliehen wird.
13. Das Militärehrenzeichen in 2 Klassen, 1864 gestiftet.
14. Die Dienstauszeichnungen für Offiziere, Unteroffiziere und Ge-
meine und die Landwehrdienftauszeichnung in 2 Klassen.
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_dem_Großen Friedrich Wilhelm_I. Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Friedrich
Wilhelm_Iv Friedrich Wilhelm Eichenlaub Friedrich_Wilhelmiii Friedrich König_Wilhelm_I. Wilhelm_I. Wilhelm_I.
10
Ii. Der Preußische Staat.
15. Die Rote-Kreuz-Medaille (1898) für Verdienste um die Kran-
kenpflege.
16. Der (protestantische) Johanniterorden ist eine adelige Vereinigung
zur Förderung der Pflege von Kranken und Verwundeten. Das Ordens-
zeichen ist ein weißes Kreuz in schwarzem Felde.
Hierzu kommen die Feldzugsmedaillen von 1864, 1866, 1870, für
China und Südwest-Afrika, die Zentenarmedaille von 1897 und die Ehe-
jubiläumsmedaille, die an würdige Ehepaare bei der goldenen oder diaman-
tenen Hochzeit verliehen wird.
Ausländische Orden und Titel können nur mit königlicher Genehmi-
gung geführt werden.
Der König wird mit Vollendung des 18. Lebensjahres volljährig.
Er leistet in Gegenwart der beiden Häuser des Landtages das eidliche Ge-
löbnis, die Verfassung des Königreichs zu halten und in Übereinstimmung
mit ihr und den Gesetzen zu regieren.
Eine Krönungsfeierlichkeit hat bis jetzt nur zweimal stattgefunden.
Am 18. Januar 1701 krönte sich Friedrich I. in Königsberg zum König
in Preußen; dasselbe tat Wilhelm I. am 18. Oktober 1861; ihm war es
ein Bedürfnis, das geschichtliche Recht des preußischen Königtums, das
in der Revolutionszeit angezweifelt worden war, wieder festzustellen.
Der König kann ohne Einwilligung des Landtages nicht zugleich
Herrscher fremder Reiche sein.
Der König beruft, vertagt und schließt den Landtag. Er kann das
Abgeordnetenhaus auflösen, doch müssen innerhalb 60 Tagen Neuwahlen
und innerhalb 90 Tagen die Wiedereröffnung des Hauses stattfinden. Die
Vertagung darf ohne Zustimmung des Landtages die Zeit von 30 Tagen
nicht überschreiten.
Die Krone ist den kgl. Hausgesetzen gemäß erblich in dem Mannes-
stamme des Kgl. Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und der agna-
tischen Linealfolge.
In Deutschland gilt das sogenannte salische Recht, das auf der
Bestimmung der Lex Salica beruht: de terra salica nulla portio in
miüiebrem pariern transit. Danach sind Frauen nicht zur Thronfolge
berechtigt, überhaupt ist die weibliche Linie ausgeschlossen. Wenn der
König nur Töchter hat, so folgt der älteste Bruder des Königs oder,
wenn keine Brüder vorhanden sind, der nächste männliche Verwandte.
Die kgl. Hausgesetze, von denen das älteste die sogenannte Dispositio
Achillea vom Jahre 1473 ist, bestimmen das Recht der Erstgeburt und
die Unteilbarkeit der Monarchie. Die agnatische Linealfolge bedeutet, daß
von mehreren zur Erbfolge berechtigten Brüdern der älteste und dessen
Nachkommenschaft thronberechtigt ist. Das fürstliche Haus Hohenzollern
ist in Preußen nicht zur Thronfolge berechtigt. Mit dem Tode des Königs
ist sein Nachfolger ohne weiteres König.
Wenn der König minderjährig oder sonst dauernd verhindert ist,
selbst zu regieren, so übernimmt der der Krone zunächst stehende voll-
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T47: [Friedrich Wilhelm Kaiser König Iii Kurfürst Jahr Preußen Brandenburg Johann], T31: [König Ludwig Karl Sohn Maria Frankreich Kaiser Tod England Philipp]]
TM Hauptwörter (100): [T7: [König Kaiser Rudolf Friedrich Sohn Böhmen Haus Karl Ludwig Albrecht], T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
TM Hauptwörter (200): [T61: [Wilhelm Friedrich Prinz König Luise Jahr Königin Gemahlin Prinzessin Kaiser], T191: [Karl Sohn König Tochter Haus Kaiser Ludwig Herzog Tod Johann], T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T5: [Jahr Recht Person Gemeinde Staat Steuer Familie Kind Lebensjahr Vermögen], T67: [Preußen Bund Staat König Regierung Deutschland Verfassung Frankfurt Reichstag Bundestag]]
12
Ii. Der Preußische Staat.
das Kgl. Hausministerium), besonderer strafrechtlicher Schutz (Strafgesetz-
buch tz 394—97) und für die großjährigen Prinzen Anspruch auf einen
Sitz im Herrenhause. Dieselben Vorrechte haben die Standesherren, d. h.
die ehemals reichsunmittelbaren Fürsten und Grafen, doch ist die Freiheit
von der Staatseinkommensteuer gegen Entschädigung aufgehoben.
3. Das Staalsministerium und die übrigen Zentralbehörden.
Die Minister sind die verantwortlichen Berater des Königs und
bilden die Zentralverwaltungsbehörde des Staates. Die älteste derartige
Behörde war der vom Kurfürst Joachim Friedrich 1604 eingesetzte Ge-
heime Rat. König Friedrich Wilhelm I. begründete 1723 das General-
oberfinanz-, Kriegs- und Domänendirektorinm, das unter dem Vorsitz des
Königs tagte und in fünf Departements zerfiel, deren Zuständigkeit teils
nach Gegenständen, teils nach Provinzen abgegrenzt war. Daneben wurde
zur schnelleren Erledigung gewisser Geschäfte ein bureaumäßig eingerichtetes
Kabinettsministerinm geschaffen; ein Überrest davon ist das Militär- und
das Zivilkabinett, welche die persönlichen Angelegenheiten bearbeiten; zu
ihnen ist noch das Marinekabinett getreten.
Eine durchgreifende Änderung brachten die Stein-Hardenbergschen
Reformen der Jahre 1808—1810, die im Grunde noch heute maßgebend
sind. Die Geschäfte wurden, um der Verwaltung größere Einheit zu ver-
leihen, lediglich nach Gegenständen verteilt und einzelnen Ministern über-
tragen. Ursprünglich gab es fünf Ministerien: für Auswärtiges, Krieg,
Justiz, Finanzen und Inneres; ihre Zahl ist jetzt durch Abzweigungen
von dem Ministerium des Innern auf neun gestiegen. Es sind folgende:
1. Das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten,
zugleich Auswärtiges Amt des Deutschen Reiches.
2. Das Kriegsministerium. Der preußische Kriegsminister ver-
waltet die Angelegenheiten des preußischen Heeres und der mit ihm ver-
bundenen Kontingente. Die Rechnung wird auf Kosten des Reiches geführt.
3. Das Justizministerium, die oberste Justizverwaltungsbehörde;
eine Einwirkung auf die Rechtsprechung steht ihm nicht zu.
4. Das Finanzministerium, in welchem das Etats- und Kasten-
wesen, die direkten und indirekten Steuern bearbeitet werden. Auch die
Generalstaatskasse, die Königliche Seehandlung (Preußische Staatsbank),
die Hauptverwaltung der Staatsschulden und die in der Not des Sieben-
jährigen Krieges gegründete Staatslotterie sind diesem wichtigen Mini-
sterium untergeordnet. Mit dem Finanzminister müssen sich die übrigen
Minister in betreff des Haushaltplanes ihres Geschäftskreises verständigen.*)
*) Die Einnahmen und Ausgaben Preußens belaufen sich im Jahre 1912 auf
beinahe 41/2 Milliarden Mark. Die Staatseisenbahnen bringen einen Reinertrag von
226 Millionen, die direkten Steuern beinahe 400 Millionen, die Zölle und indirekten Steuern
über 70 Millionen, die Domänen, Forsten und Bergwerke etwa 90 Millionen. Die preu-
ßische Staatsschuld beläuft sich auf mehr als 9 Milliarden Mark, die 390 Millionen zur
Verzinsung und Tilgung erfordern; ihr steht der Besitz des Staates an Eisenbahnen,
Domänen, Forsten, Bergwerken und Salinen mindestens ausgleichend gegenüber.
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Extrahierte Personennamen: Joachim_Friedrich Friedrich Friedrich Wilhelm_I.